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Schreiben. Schlafen. Spielen.

Von E-Books und Microtransactions

oder: der Tag als John Scalzi, „The B-Team“ und mein Entsetzen aufeinandertrafen

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Neben dem für mich unschlagbaren Charles Stross (Singularität, Supernova) ist John Scalzi (Krieg der Klone) in meiner Top 3 der modernen Sci-Fi Authoren – wobei modern für den Satz signifikant ist, ein Vergleich mit Lem, Heinlein oder den Strugatzki Brüdern steht außer Frage, wäre aber auch unfair, das Genre hat sich mit der Zeit entwickelt, der Anspruch des Publikums ebenso. Seine Bücher glänzen durch eine fesselnde Spannung, am Besten kauft man gleich zwei oder drei Bände, und Scalzi’s Talent irrwitzige, tolpatschige und lächerliche Kommentare / Situationen in die Story einzubinden, ohne die eigentliche Story ebenfalls zu einer Comedy einbrechen zu lassen. Ein 2 in 1 aus Fun und guter Space Opera.

Soviel lediglich, damit auch der Unwissende ein Bild hat, wem ich gleich meinen verbalen Mittelfinger zeigen werde. Eigentlich ist das „wer“ unbedeutend, die Aktion ist das beklagenswerte… es tut nur mehr weh, wenn man selbst Liebe für die Arbeit des Akteurs übrig hat.

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Paul Carr: Bringing nothing to the party

Das Buch kostenlos als PDF lesen

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Nur ein kurzer Einwurf für Interessierte im Bereich neue Medien:

Paul Carr – Bringing nothing to the party

ist jetzt kostenlos downloadbar als PDF. Ausserdem wird jede Woche ein neues Kapitel auf der verlinkten Website veröffentlicht, mit der zusätzlichen Funktion Kommentare dazu abzugeben.

Das Buch trägt den aussagekräftigen Untertitel “True confessions of a new media whore” und dokumentiert die nicht wirklich erfolgreichen Versuche Pauls, durch Projekte im Internet reich zu werden. Berühmt hat es ihn in jedem Fall gemacht, und ganz mittellos dürfte er auch nicht sein. Der ganz große Wurf – etwa die Gründung eines Unternehmens wie Ebay, Amazon oder Yahoo! – blieb ihm allerdings verwehrt.

Ich habe am ersten Tag bis Seite 38 gelesen, obwohl ich wahrlich genug anderes zu tun hätte und seitenweise Lesen am Monitor nicht wirklich angenehm ist. Ein wenig “Geschichte des Internetbooms”, Soapelemente, ein erfrischend amüsanter Schreibstil und tiefe Einblicke in die Welt von Unternehmern, die gleichzeitig auch Internet- und Medienfetischisten sind.

Bist du ein Netzjunkie? Dann ist das Buch absolut deine Zeit wert!

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Viktor Hofmann – Lüge

eine Buchvorstellung

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Das  Grausame im Schönen, das Zerrüttete im geordneten System menschlicher Psyche, die Leere auf den vollen Straßen seiner Stadt, das Grau im Wirbel aller Farben – dafür hatte Viktor Hofmann (1884-1911) offensichtlich einen scharfen Blick.

Der im Lilienfeld Verlag erschienene Band “Lüge” bringt als Erstveröffentlichung die prosaischen Werke Hofmanns endlich auf eine Bühne vor das deutsche Publikum. “Zwischen bekannten und unbekannten Dichtern existiert gleichsam eine dritte Kategorie: Personen wie Geister – vergessen, doch nicht zu verteiben.”, so umschreibt Alexander Nitzberg in seinem Nachwort zum Buch den Umstand, daß Viktor Hofmann selbst in seiner Heimat Rußland kaum bekannt ist, dennoch nicht aus dem literarischen Spektrum zu verbannen: 2007 wurde in St. Petersburg sein Gesamtwerk neu aufgelegt.

Hofmann wuchs auf in einer vielerart künstlerisch begabten Familie (Malerei väterlicherseits, seine Mutter war eine begabte Sängerin) und seine Jugend wurde geprägt von der Lektüre deutscher Klassiker der Romantik wie auch durch frühe Kontakte mit namhaften russischen Literaten. Waren die ersten veröffentlichten Werke noch reine Gedichtbände (“Buch der Anfänge” 1905 und “Die Probe” 1909) – die Kritiker veranlaßten Hofmann auch zu einem anerkannten Meister seiner Zeit emporzuheben – schwor er fortan der Poesie ab und wollte nur noch Prosa schreiben, während er in St. Petersburg als Redakteur arbeitete. Ein Buch aus dieser Zeit, angeblich eine Romantriologie vom Konflikt zwischen seelischer und körperlicher Liebe, soll später von ihm selbst vernichtet worden sein – doch gerade diese Thematik steht im Vordergrund vieler Geschichten aus dem Sammelband “Lüge”.

So findet der geneigte Leser in den 29 kurzen Geschichten Zugang zu den Schattenseiten der Liebe und der menschlichen Begierde, wie auch zu den psychischen Verwirrungen zu denen das Empfinden oder Ausbleiben derselben führen kann – aus der Sicht eines Romantikers, der zumeist den mystisch verklärenden Schleier  wahrer Gefühle von jeglichem zwischenmenschlichem Umgang hebt und uns auf eine kalte Realität dahinter blicken läßt. Die Stadt als lebendiger grauer Moloch, der Einsamkeit wie auch gefühlsbefreite, rein körperliche Neigungen seiner Bewohner begünstigt, als Verderber warmherziger Beziehungen und taktvollen Umgangs, ist das zweite große Bild neben seinen düsteren Gemälden von der Liebe, das Viktor Hofmann in seinen Texten zeichnet.

“Und rings die Stadt – wie ein erschreckendes, erstarrtes Gesicht, das ich zu gerne verscheuchen würde. Die Häuser, die Häuser – grau, weiß und gelb. Kisten, innerlich lächerlich aufgeteilt, vollgesteckt mit Fenstern, vollgestopft mit Menschen. […] Was geschieht jetzt in diesen Häusern? Könnte man ihnen doch die Hüllen abreißen, in jedes hineinsehen, in jeden Teil, in das stickige Schlupfloch des Menschen.”

In der Kutsche mit der verheirateten Frau, die eine Affäre mit dem Erzähler hat:
“Ich habe das Gefühl, daß ich unbedingt etwas sagen müßte, daß das Schweigen peinlich sei. Aber es gibt nichts zu bereden, und wir brauchen einander ganz einfach nicht. Im Gedächtnis – zerrüttete Bettlaken, ein gespreizter, sich rekelnder Frauenleib, ungeduldiges Auskleiden und müdes Ankleiden mit dem lästigen Schließen der Haken am Rücken. Auf den Lippen eine seltsame Trockenheit von den Küssen. Bedrückt von irgendeiner Unzufriedenheit und Enttäuschung.”
Sinniert hier Hofmann von der Leere einer Affäre ohne echte Liebe, das seltsam hohle Gefühl nach einer Eroberung, von der man glaubte sie haben zu müssen, wobei man sich danach unangenehm fühlt, von der Erwartung blind gemacht und vom Ergebnis enttäuscht?

Ein schockierendes Erlebnis kalter Realität, des Menschen gefangen in den Mechanismen seiner eigenen Gesellschaft, umschreibt Hofmann, als sein Protagonist versucht die Einsamkeit durch eine Eroberung und eine Liebesnacht zu dämpfen:
“Das alles war – wie eine Parodie auf die Liebe. Selbst dieses Wehren, dieses – Was tun Sie da? – alles so, wie es sich gehört. Wie von Federn angetriebene Puppen bewegen sie sich im Raum. Und an tausend Orten geschieht ja jetzt haargenau das gleiche, wird das gleiche gesprochen, ist das alles ja mit äußerster Präzision – vorherbestimmt. Wo ist da die Freiheit?”

Und natürlich der eigentlich unbeschreibliche Schmerz eines gebrochenen Herzens:
“Sie hatte den Kopf vornüber auf den Tisch fallen lassen, so daß ihr Gesicht nicht zu sehen war, eingewickelt in die Ärmel der entkräftet vor sich hingeworfenen Arme und das zerknüllte, durch und durch tränennasse Tuch. Von dort, aus diesem zerknüllten Tuch und den zuckenden Armen, brachen hervor sich häufende, leise, wimmernde Schluchzer, als würde jemand ersticken oder, ertrinkend, verzweifelt zum letzten Mal nach Luft schnappen.”, die Einleitung einer unwirklich anmutenden, aber keinesfalls realitätsfernen Geschichte von der Trennung zweier Menschen.

Zwischen 1909 und 1911 litt Viktor Hofmann mit steigender Intensität an Nervenschwäche, emotionaler Verwirrung und unter Angstzuständen, er nahm sich 1911 in einem Hotel in Paris – offenbar Folge seiner Krankheit – mit einer Schußwaffe das Leben. In einem nicht abgeschickten Brief schrieb er kurz vor seinem Tod an seine Mutter:
“Liebe Mama,

ich bin verrückt geworden. Bin schon ein vollkommener Idiot. Ich möchte dich nur ungern traurig machen, aber mit mir ist es nun ganz vorbei. … Helfen kannst du nicht. Ich erinnere mich an nichts mehr.

Viktor”

Wer sich gerne durch Schatten führen lassen möchte, geworfen von romantischen Träumen, statt ihnen einmal mehr nachzuhängen, der reiche dem Geist Viktor Hofmanns die Hand und lasse sich in die “Lüge” entführen…

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Living Library, Kopenhagen

Lebende Bücher gegen Vorurteile

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Eine Bücherei besucht hat wahrscheinlich jeder von uns schon, zumindest sofern er gerne liest. Auch das Thema E-Books ist uns nicht mehr fremd, auch wenn die Mehrzahl der Lesebegeisterten in Deutschland das gedruckte Buch noch immer vorzieht. Aber wer von euch weiß, was ein lebendes Buch ist bzw. hat schonmal eines gelesen?

Tatsächlich kann man die lebenden Bücher aus Kopenhagen eigentlich nicht lesen, man muß sich mit ihnen unterhalten. Entstanden ist dieses Projekt, die Living Library, aus einer Initiative junger Dänen gegen Gewalt, nachdem einer ihrer Freunde in Kopenhagen Opfer einer Gewalttat wurde. Sieben Jahre nach Gründung der Organisation sollten sie sich im Jahr 2000 auf dem Roskilde-Festival präsentieren und engagieren, und zu dieser Gelegenheit wurde die Idee der lebenden Bibliothek geboren.

Ein lebendes Buch ist im Falle der Living Library ein Mensch aus einer Minderheit, aus einer bestimmten Szene, Volksgruppe o.ä., die üblicherweise mit Vorurteilen behaftet ist. Über das Projekt erhält man die seltene Gelegenheit sich mit eben jenen Personen zu unterhalten, sie wie ein Buch auszuleihen und in ihrer Lebensgeschichte per Gespräch zu lesen – um sich seinen eigenen Vorurteilen zu stellen und sie möglichst hinter sich lassen zu können. Das Buchprogramm reicht dabei von Alltäglichkeiten (Buchhalter, weiblicher Feuerwehrmann, Polizist) über die “üblichen” Randgruppen (Homosexuelle, Esoteriker, Ex-Gangmitglieder) bis hin zu Personen mit Extremerfahrungen (Krebskranke, Drogenkranke u.ä.).

Mittlerweile hat sich die Living Library zu einer reisenden Veranstaltung entwickelt, wobei nicht alle Events von der ürsprunglichen Organisation durchgeführt werden; das Projekt und die Idee wurde offen und kostenlos bereitgestellt für Jedermann, resultierend in Veranstaltungen an Universitäten, Schulen, sozialen Anstalten und auf Festivals auf der ganzen Welt. Im Jahre 2008 gab es Veranstaltungen in 27 Ländern, im Herbst und Winter 2009 konzentriert man sich vor allem auf die USA und Kanada, aber auch Veranstaltungen in Frankreich, England und Irland stehen noch an.

Im Grunde mutet das Konzept wie eine Talk-Show an, nur daß die Themen Lebensgeschichten von Menschen sind, die auch selbst zu Talkgästen werden, konfrontiert mit Besuchern der Veranstaltungen, welche gleichzeitig Talkgegenüber und Moderatoren stellen. So sie nicht zu schüchtern sind und bereit, sich ihre eigenen Vorurteile einzugestehen – nicht gerade eine Stärke der meisten Menschen…

Dummerweise werden die freiwilligen Besucher solcher Veranstaltungen zumeist den dort gebotenen Lerneffekt nicht mehr nötig haben, wen man aber dringend erreichen sollte, der wird sich höchst selten auf einem derartigen Event tummeln. Als Projekt an Schulen und Universitäten allerdings kann ich mir die Living Library sehr gut als sinnvoll vorstellen.

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