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Einsamkeit 2.0

Gedanken zu "Alone Together: Why We Expect More from Technology and Less from Each Other"

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Hinweis:
Dieser Eintrag bezieht sich auf ein Interview mit Sherry Turkle der SZ, wie auch ihr neues Buch “Alone Together: Why We Expect More from Technology and Less from Each Other”. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, ein bestimmter Teil von mir hatte dennoch das Bedürfnis, einen Kommentar zum behandelten Thema zu schreiben.

„Für diese Einsamkeit, haben wir noch kein Wort gefunden.“
sagt die Authorin Sherry Turkle, und prägt damit einen Satz, der eindrucksvoll die Atmosphäre des Buches unterstreicht, während Begriffe wie Social Media oder Facebook mitsamt den Assoziationen, die jeder von uns aus eigener Erfahrung besitzt, ohne Mühe einen „Vorgeschmack auf den Inhalt“ transportieren.

Auch wenn vielleicht für diese Einsamkeit noch kein Wort geprägt ist, etwa analog zur Realitätsflucht, gibt es doch bereits viele Lebenssituationen, welche sie widerspiegeln, diese Einsamkeit verfügt über eine Vielzahl mir und euch bekannter digitaler Gesichter.

Sie zeigt sich in Newsblogs zu Ryan van Cleave, der kürzlich ein Buch veröffentlichte, ein Erfahrungsbericht eines Süchtigen, aufgesaugt von einer virtuellen Welt. In diesem Fall World of Warcraft, aber das tut nichts zur Sache, läßt lediglich sein Buch einfacher über den Ladentisch gehen. Wer sich wenigstens nahe der Szene aufhält, weiß um die Vielzahl der Brüder und Schwestern des genannten Spiels, wie auch um den Umstand, daß eine Publikation ähnlich der von Ryan bereits in verschiedenartigen Versionen vor seiner Veröffentlichung existierte. An vielerlei Orten wurde und wird seine Geschichte in Variation durchlebt, nur nicht niedergeschrieben.

Diese Einsamkeit blüht auf in Fernbeziehungen über teilweise weite Strecken, fürsorglich vernetzt über Facebook, Google+, Skype und möglichst noch einem Instant Messenger, wenn man gefühlt zwangsweise wieder in einer Videokonferenz sitzt, damit man sich nicht aus den Augen verliert, sich aber eigentlich nichts zu sagen hat. Wenn man eigentlich hektisch beschäftigt ist, jedoch auf ICQ zwischendurch leblose Sätze antwortet, denn sonst „kümmerst du dich garnicht mehr um mich!“ – oder im Büro seine notwendige Vernetzung online schaltet und eine Nachricht aufploppt „Wo warst du? Habe den ganzen Abend auf dich gewartet!“. Man schreibt einen schönen Frühstückssatz zurück – und liest sich dann zwei Abende später wieder. Das ist eine absurde, temporäre Einsamkeit, induziert durch abgebrochene Gespräche, zu große Entfernungen, Mißverständnisse aus schnell zwischendurch hingeknallten Sätzen im ICQ und leeren Phrasen, damit man sich „wenigstens gemeldet“ hat.

Die Digitale Einsamkeit ohne eigene Bezeichnung spiegelt sich wieder in einem modernen Menschen, er verfügt über 300+ “Freunde”, erlebt jedoch kaum ein reales Treffen.

Sie steckt auch in der ungeheuren Vielzahl junger und älterer Menschen im Bus und auf der Straße, die versunken in ihre iPhones Nachrichten lesen. Alle haben diese großartigen Geräte, aber achtet einmal darauf: es kommt einem so vor, als rufe sie nie jemand an. Noch erschreckender wird es, wenn zwei Kollegen nebeneinander im Bus fahren, 20-30 Minuten, jedoch kein Wort miteinander wechseln, da mindestens einer Witziges oder Nachrichten von der Größe seiner Handfläche aufsaugt.

Sie zeigt sich noch einmal in Kurzgeschichten eines ungenannten Schreibers, in welchen die Protagonisten unter Einsamkeit in futuristischen Großstädten leiden, die im Web geteilt werden, welche aber keiner liest. Ein ordentlicher Teil der vielen Social Media „Freunde“ ist belesen, kennt sich mit Literatur aus – sagt das Profil. Seltsam: wenn man sie auffordert etwas zu lesen (giev Feedback!), hat plötzlich niemand Zeit. Oder gibt einen Satz zurück „Liest sich gut!“ (aka ich habs nicht gelesen). Belesener Literaturkenner sein, das hat Style! Ob der eigenen Anonymität zwischen der gesichtslosen Armee der anderen 467 „Freunde“ stochert sowieso kaum jemand nach Beweisen. Hauptsache die Oberfläche der Persona sieht schick aus, Profil FTW, auch ein Bestandteil der modernen Einsamkeit.

Einsamkeit von Menschen, die in großen Ballungsräumen leben (sollte sich dies nicht eigentlich widersprechen?) ist nicht neu. Ich erinnere mich an Bücher, die ich während meinem Abitur lesen mußte.

Aber die Einsamkeit geht mit dem Trend. Hat sich ein neues Make Up aufgelegt, oder ist einen Level aufgestiegen. Aufgrund der Einsicht, daß Sherry Turkle mit ihrem Satz recht behält, nenne ich sie „Einsamkeit 2.0“. Das ist flach, aber effektiv, schließlich wird die neue „digitale“ Einsamkeit durch allerlei Phänomene des Web 2.0 bestärkt… und geshared. Ein Paradoxon zum Abschluß: wir sharen Einsamkeit 2.0 mit unseren Mitmenschen. „Gemeinsam einsam“ – wie die Süddeutsche im Aufreißer getitelt hatte.

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One Response to “Einsamkeit 2.0”


  1. Falko
    on Sep 16th, 2011
    @ 19:17

    Hi wo ist der Facebook Gefaellt mir Button? 😉

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