Carpe Pagina

Schreiben. Schlafen. Spielen.

Ein Tag im Leben eines Schattens

Eine Kurzgeschichte über den Charakter, den ich im MMO “Age of Conan” gespielt habe (Fan Fiction):

„Ich weiß das ihr da seid, Mörderin.“, murmelte eine tiefe, irgendwie zerkratzt wirkende Stimme aus dem mit Fellen gepolsterten Sitz vor dem leise knisternd flackernden Kamin. Naitachal duckte sich enger an die Wand, versank noch tiefer in die Schatten der Ecke, in der sie sich versteckt hielt. „Bei Set, wie kann das sein?“, fluchte sie leise. Sie hatte beim Eindringen kein Geräusch verursacht und der Raum wirkte düster – wurde fast von seiner eigenen Dunkelheit verschlungen – das Leuchten des Kaminfeuers erhellte den Raum kaum, da es tief in dem aus Lehmziegeln gebauten Kamin brannte, also konnte man sie auch keinesfalls gesehen haben!

„Mein Herz sehnt sich so sehr und so lange danach, euch gegenüber zu treten, schon seit vielen Monden habe ich die Kraft entdeckt, euch zu spüren.“

Der Mann blickte kurz vom Feuer auf und in die Ecke zu seiner Rechten, er hatte eine Bewegung ausgemacht, wähnte seine Besucherin dort in den tiefen Schatten versteckt. Seine Stimme klang nicht wirklich verkratzt, eher müde, ausgemergelt. Allerdings täuschte er sich, Naitachal war mitnichten zu seiner Rechten, sondern drückte sich angriffsbereit und ganz langsam atmend in eine Ecke hinter ihm.

„Wenn ich in einem erkalteten Feuer am Wegesrand wühle, weiß ich ob ihr es wart, die es vor Tagen gelöscht hat. Wenn ich eine Stadt betrete, rauscht das Blut heiß durch meine Adern, flüstert mir zu, dass ich ihre Straßen mit euch teile. Doch da mir nur sehr wenig außer eurer stygischen Herkunft über euch bekannt ist, kann ich euch nicht ausmachen im Gedränge auf den Straßen und Gassen – ich kann euch nicht sehen, aber ich spüre, ihr seid da!“

Der Fremde atmete schwer, aber erleichtert aus, gerade so, als würde eine große Last von seinen breiten Schultern abfallen. Naitachal konnte durch seinen hohen hölzernen Sitz kaum etwas von ihm sehen, jedoch konnte sie ihn riechen: kalter Schweiß, leicht feuchte Felle, Leder – aus Cimmerien.

„Seit Tagen fahnden bezahlte Spione nach euch in den stinkenden Gassen dieser Stadt. Ohne Erfolg. Und nun seid ihr zu mir gekommen. Ich bin Marlac, Sohn des Bran, aus Conwall“. Er schien sich stark zurückhalten zu müssen, um nicht aufzuspringen, „und wer seid ihr? Sprecht!“

Naitachal hatte einen scharfen Verstand und besaß ein gutes Gedächtnis, der Name ließ sofort Bilder aus der Vergangenheit in ihrem Kopf aufblitzen: ein cimmerisches Dorf, das Innere eines Hauses, ihr blutiges Handwerk an der schlafenden Familie, das Kind, die aufwachende Mutter, Schreie! Schreie! Stille. Ein fehlendes Familienmitglied auf ihrer Liste…

Verbittert verzog sie die Mundwinkel, wischte die Geister verflossener Tage aus ihren Gedanken.

Schon häufig war sie Söldnern und ähnlichem Gesindel begegnet, die nach einer stygischen Assassine suchten, hatte sie getäuscht… oder getötet. Nun endlich schien sie deren Auftraggeber gegenüber zu stehen, zumindest einem Auftraggeber, vielleicht nur einem unter vielen.

„Wohl wahr, ich bin geboren in Stygien, in einer kleinen Siedlung von der Größe nicht unähnlich eurer Heimat. Und ich bin eine Frau, viel mehr ist euch selbst nicht bekannt, ist es nicht so?“

Ihre Gedanken drifteten ab, zurück durch die Zeit, zurück zu dem cimmerischen Haus. Es war Naitachal nicht schwer gefallen, das noch recht junge Kind im Schlaf zu töten. Viel schwerer war es gewesen, dem entsetzten Blick seiner unerwartet erwachten Mutter zu widerstehen, ob ihrer von Angst und Verlust triefenden Schreie nicht vom eigentlichen Ziel abgelenkt zu werden. In dieser Nacht, als Naitachal noch immer in die vom Entsetzen geweiteten Augen der Frau sah, während sie ihren Mund zuhielt und mit fast zärtlichen Dolchstößen das Leben aus ihr herausschnitt, war etwas in der Stygierin gebrochen. Eines der ersten von unzähligen Bruchstücken, die ihr Leben, ihre Erlebnisse auf den Straßen der Königreiche in den folgenden Wochen und Monaten aus ihr herausgerissen hatte. Sie drückte die Klinge eines ihrer Dolche gegen den rechten Unterarm, bis es schmerzte und aus einem kleinen Schnitt warmes Blut in ihre Kleidung rann. Ich kann mir jetzt keine Schwäche erlauben!

„Hört zu Fremder“, Naitachal atmete ganz langsam und tief ein, um sich mehr auf die vor ihr liegende Situation zu konzentrieren und wenigstens für einen Augenblick Vergangenes vergessen zu machen. Die Assassine sprach nun gefasst, mit einem Beiklang von Arroganz in der Stimme.

„Hinter der Welt die ihr kennt, gibt es noch eine andere Welt, die Welt der Schatten, der Dunkelheit, der grauen Gesichter. Diese Welt ist die Mutter, die mich hütet. Viele weitere Männer und Frauen leben in dieser Welt, doch ihre Gesichter sind mir fast immer genauso unbekannt wie ich euch. Zumeist könnt ihr Händler, Reisenden und Krieger uns nicht sehen, aber wir leben mitten unter euch. Ihr seht uns als Schatten, der um eine Gassenecke zu schweben scheint, als Bewegung in eurem Augenwinkel. Ich bin jene, die ihr bei einer schnellen Bewegung streift und ich bin schon wieder fort, bevor ihr euch wundern könnt woher aus dem vermeintlich leeren Raum um euch der Mensch kam, mit dem ihr gerade zusammen gestoßen seid.“

Völlig lautlos erhob sich Naitachal aus ihrer Ecke, richtete sich auf, vermutete einen bald losbrechenden Kampf. „Ich verschwende meine Zeit nicht damit, euch mehr zu mir und meinem Leben zu verraten, es wäre sinnlos. So ihr mich auf offener Straße ausmachen würdet, wäre ich bereits im Gedränge wieder verschwunden, bevor ihr euer Schwert vollständig seiner Scheide entledigt hättet, wie von einem unerklärlichen Zauber verschluckt.“

Die Beherrschung des Cimmeriers schien nun ihre Grenzen erreicht zu haben. Ganz langsam spannten sich die Muskeln an seinen Armen, umfassten die Hände die Lehnen seines Stuhls. Doch nachdem er sich nur ein kleines Stück weit hoch gedrückt hatte, ließ er sich plötzlich wieder zurück fallen, verkrampfte seine Hände mit einem Griff um die Knie. Die gesamte Zeit über hatte er steif voran ins Kaminfeuer gestarrt.

„Ihr habt mir mit dem Mord an meiner Familie alles genommen, was von Bedeutung für mich war. Ihr habt mein Herz ermordet und meine Seele verkrüppelt, obwohl ich doch nicht in meinem Haus weilte, als ihr euer schändliches Werk begangen habt. Seit drei Jahren jage ich euch bereits, nur um zu erkennen, das es mir wohl unmöglich ist, euch zu erwischen.

Und selbst das ist zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Selbst wenn ihr unter meinen Händen sterbt, ist von mir nichts übrig als ein ausgezehrter verzweifelter Mann, gebrochen von Trauer und Gram. Das einzige, was mir noch die Kraft gibt, im Leben zu verweilen, ist die Jagd nach euch… töte ich euch, vernichte ich damit auch selbst das letzte Bruchstück Überlebenswille, das mir verblieben ist.“

Mit Tränen in den Augen blickte der Mann weg vom Kaminfeuer und fixierte die düstere Ecke, in der er sich einbildete den Schatten der Stygierin ausgemacht zu haben. Naitachal war fest überzeugt davon, dass er nun seinerseits die Jahre seit dem Verlust seiner Familie, die Jahre der erfolglosen und auszehrenden Jagd, in Bildern durch seinen Geist passieren ließ.

„Mein Leben ist leer, leer bis auf die Jagd nach einem gesichtslosen Mörder. Mit eurem Tod bliebe mir nichts. Nichts!“

Flehend erhob Marlac die Hände in seine Blickrichtung.

„Ich bitte euch, zeigt mir, ob in eurem Herzen wenigstens noch ein letzter Funken Erbarmen glüht! Vollendet euer blutiges Werk an mir, erlöst mich von diesem grausamen Leben und vereint mich mit meiner Familie im Tod!“

Überrascht zuckte der Cimmerier zusammen, als er eine kalte Klinge an seiner Kehle spürte. Er hatte gehofft wenigstens vor seinem Tod der verhassten Mörderin seiner Familie in die Augen sehen zu können, doch seine Wahrnehmung hatte ihn getäuscht. Die angestarrte Ecke war leer und Naitachal hatte sich in einem ganz anderen Bereich des Raumes versteckt gehalten.

Ein leises Seufzen entstand hinter ihm und schien an der zweiten Klinge, die Marlac nun in seinem Nacken spürte, herunter zu fließen bis an sein Ohr.

„Ich bedaure euer Versagen. Eure Klugheit muss groß sein, so tief greifend habt ihr die Wahrheit um euer Leben erfasst. Ich begrüße euren Mut, sich dem Tod so freizügig zu stellen.“

Warmer Atem umspielte seinen Hals, Naitachal schenkte Marlac wenigstens einmal in seinem traurigen Leben die Gunst, der Beute seiner verzweifelten Jagd ganz nahe zu sein.

„Dann quält mich nicht länger! Beendet es! Ich gebe mein gebrochenes Herz in eure Hände!“

Der Cimmerier zitterte nicht. Er spürte keine Angst. Stattdessen begann ein warmes Gefühl in ihm aufzusteigen, das seine Gedanken fast als Freude oder Vorfreude deuteten. „Endlich Frieden“ schien es in seinem Geist schreiben zu wollen.

„Nein.“, die Stimme der Frau hinter ihm klang genauso süß wie enttäuschend wie auch verbittert.

„Da ist soviel Leid und Schmerz in meinem Herzen – ich muss ihn mit jemandem teilen. Dafür danke ich euch.“

Sanft wie die Berührung eines warmen Windes strich die Hand der Assassine über Marlac’s Wange, dann hörte er Bewegung hinter sich. So schnell er konnte sprang er aus seinem Sitz auf und wirbelte herum, sah jedoch nur noch einen Schatten durch das offene Fenster huschen. Nieder gepresst von Enttäuschung und Verzweiflung sank er auf die Knie.

„NEIN! Nein, bleibt! Beendet euer Werk!“

Marlac sprach weiter und weiter, doch seine Worte erstickten in Tränen und Schluchzen, so dass niemand sie hätte verstehen können. Es war auch niemand mehr da, der ihm hätte zuhören wollen.

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3 Responses to “Ein Tag im Leben eines Schattens”


  1. Ein Tag im Leben eines Schattens « Carpe Pagina
    on Aug 5th, 2009
    @ 14:04

    […] die ganze Geschichte lesen […]


  2. annechen
    on Mar 28th, 2013
    @ 12:11

    schöne geschichte :) nicht gerade n happy end aber naja muss ja auch nicht immer sein :)


  3. Roland
    on Mar 28th, 2013
    @ 14:09

    Danke für die netten Worte. Ich habe ein Faible für tragische Charaktere und gefallene Helden (etwa Dracula, König Haggard oder Mary aus The Day) – dementsprechend gibt es in kaum einer meiner Geschichten ein Happy End.

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